25. Trail-Abschnitt: Von Colac Bay nach Bluff – Mein bester längster letzter Tag

25. Trail-Abschnitt: Von Colac Bay nach Bluff – Mein bester längster letzter Tag

Te Araroa Trail Total (TTT): 3.008 km 

Highlight:
Dieser einzigartige, großartige Moment, wenn man nach mehr als 3.000 Kilometern sein Ziel erreicht…und das überwältigende, einsetzende Wechselbad der Gefühle! ?

Beileid:
Getting lost in the dark! Oder wenn man so nah vorm Ziel vom Weg abkommt

Trekking-Akku: 10/10
?/☹: 10/10

A life not examined is not a life worth living… Oder in meinem Fall: A trail not examined is not a trail worth hiking! ?

Was ich damit meine? Ganz einfach! Was macht es für einen Sinn, immer nur in den Tag hineinzuleben? Ohne sich jemals zu hinterfragen, ohne Entscheidungen anzuzweifeln, seine Gedanken zu überprüfen, den eingeschlagenen Weg kritisch zu beäugen? Deshalb habe ich mir für meinen letzten Tag auf dem Trail etwas ganz bewusst vorgenommen: es geht mir in erster Linie nicht um eine persönliche Bestleistung (aber eben auch), sondern insbesondere darum, diesen Trail mit all seinen Herausforderungen und Erlebnissen und all seiner Inspiration noch einmal vor meinem inneren Auge ablaufen zu lassen…während ich selber laufe. ?

Ich will noch einmal alles hautnah spüren, angefangen von Cape Reinga als blutiger Rookie bis hin zu Bluff als körperlich und mental gestählter Thru-Hiker! Ich grabe noch einmal tief nach Emotionen und Gedanken: Was hat mich auf dem Trail bewegt? Woran bin ich gewachsen? Wer hat mir dabei geholfen, nicht nur diese Wanderung unvergesslich zu machen, sondern auch mein zukünftiges Leben anders zu leben? Denn aus der Überprüfung entsteht Veränderung…und diese 3.000 Kilometer haben mich definitiv verändert!

Wir alle verändern uns, ständig, inkrementell und manchmal radikaler. Wie könnten wir das auch nicht bei ständig auf uns einprasselnden neuen Gedanken und Ideen, Erfahrungen, Menschen, die uns inspirieren. Und ich denke, man findet gerade dann etwas über sich hinaus und wächst, wenn man außerhalb seiner Komfortzone schwimmt. Zum Beispiel wenn man komplett auf sich allein gestellt ist und keiner da ist, der einem die wichtigsten Entscheidungen abnimmt…also für sich allein und eigens die volle Verantwortung über das eigene Leben trägt. Insofern war der Trail jeden Tag aufs neue die Chance zur Veränderung, zum persönlichen Wachstum. Oder einfach nur: Life intensified! ?

Trail Day 108: Von Colac Bay nach Bluff (82 km)

4:30 Uhr

Der Wecker klingelt! Da ich heute ein gutes Stück Trail zu bewältigen habe, spiele ich den frühen Vogel. Ich gehe dennoch entspannt in den Tag und mache mir erstmal in Ruhe meinen Kaffee. So ganz relaxed bin ich nicht, weil ich einfach schlecht geschlafen habe. Vor Aufregung vorm letzten Tag (wenn alles gutgeht)? Auf jeden Fall habe ich zuviel getrunken vorm Schlafengehen…und dann gab’s da noch die Party vor meinem Zimmer. Und ich fühle mich trotzdem gut! ?

5:15 Uhr

Auf dem Weg nach Bluff…

5:45 Uhr

Ich erreiche den Colac Beach. In Trippelschritten geht’s nach Bluff, der Sand ist sehr weich. Das könnte länger dauern als gedacht… Der Sternenhimmel ist überragend!

6:15 Uhr

Getting lost! In meinem jugendlichen Leichtsinn hatte ich gedacht, ich könnte einfach geradeaus am Strand entlang laufen…ist aber nicht so! Und im Dunkeln finde ich die Trail-Markierung über Klippen und Felder einfach nicht!

7:15 Uhr

Das ist härter als erwartet und dauert viel länger als gedacht!

8:45 Uhr

Ich komme nach 12 Kilometern endlich in Riverton an. Ein Blick auf die Uhr verrät mir: wenn du es eilig hast, gehe langsam! ? Ich gönne mir erstmal ein zweites Frühstück in der Postmaster Bakery. Mit Scone, Banana Bread und Coffee to go bewaffnet wandere ich zum Oreti Beach.

Zusammenfassung Colac Bay – Riverton:

Großzügige 2,5 Stunden eingeplant, letztendlich 3,5 Stunden gebraucht… Ich drücke den Reset Button für diesen Start und gewinne den Resilienz-Award! ?

9:00 Uhr

Ich betrete den Oreti Beach bei absoluter Ebbe. Bessere Bedingungen gibt es nicht! Gut, dass ich mir vorher so viel Zeit gelassen hatte. ? Die nächsten 22 Kilometer führen mich wie anfangs des Trails am 90 Mile Beach über harten schnellen Sand, stetig im leichten Bogen Richtung Otatara/Invercargill.

11:00 Uhr

Zwei Stunden Strand, elf Kilometer zurückgelegt. Nach fast fünf Stunden komme ich knapp über einen Schnitt von 4 km/h…wieder back on track!

13:15 Uhr

Nach acht Stunden und insgesamt 36 Kilometern erreiche ich das Ende des Oreti Beach. Den Schnitt kann ich jetzt sogar im Kopf rechnen: 4,5 km/h. Das mache ich sofort durch eine wohlverdiente Mittagspause wieder kaputt! ?

Zusammenfassung Oreti Beach:

Wenn man alle 10 Minuten pinkeln muss… klarer Fall von Übertrunkenheit am Wanderstock! ?

14:15 Uhr

Roadwalk Richtung Invercargill. Neun Stunden sind um, 40 Kilometer geschafft.

14:30 Uhr

Zweiter Boxenstopp des Tages im Ziff’s Café. Es gibt wieder Coffee to go und einen Schoko-Muffin für später! ?

14:45 Uhr

Der dritte Boxenstopp folgt sogleich. Im Four Square Supermarkt besorge ich mir ein feines Finisher Beer und einen Pie…die Maschine muss regelmäßig geölt werden.

15:15 Uhr

Ich passiere den Flughafen Invercargill, den ich schon in drei Tagen von ganz nahem betrachten darf. Aber noch ist Trail! ? Zehn Stunden sind um, 44 Kilometer gewandert.

Zusammenfassung Otatara:

Zweiter Kaffee, Pie, Muffin…luxury hike!

15:30 Uhr

Ich verpasse in Gedanken die Abzweigung zum Estuary Walkway, verdammt! Ich laufe wieder zurück, Downtown Invercargill sehe ich noch früh genug…

15:50 Uhr

Sackgasse! „Hier kommst du nicht rein“…ein Teil des Trails ist gesperrt. In den letzten Tagen gab’s ein paar heftige Wellen, die Teile des Estuary Walkways beschädigt und weggespült haben. Ich laufe schon wieder zurück, diesmal auf die Alternativroute um eine Lagune.

16:30 Uhr

Nach kurzem Ausflug auf meinen Lieblings-State Highway 1 bin ich wieder zurück auf dem Trail.

17:00 Uhr

Ich bin bei der 50-Kilometer-Marke angelangt und gönne mir eine kurze Pause. Meine Füße fangen so langsam an zu schmerzen, aber es sind ja nur noch 30 Kilometer… ? Habe ich eigentlich schon gesagt, was für ein geiles Wetter heute ist?! Blauer Himmel, richtig schöne Wolken, Sonnenschein…perfektes Finisher-Wetter! ?

18:00 Uhr

„Endlich“ auf dem State Highway 1 angelangt…folgen jetzt etwa 16 Kilometer volle Verkehrsdröhnung? Bestimmt nicht an einem Sonntagabend, oder? Zur Sicherheit schnalle ich mir bereits jetzt meine Stirnlampe um, damit ich besser gesehen werde.

18:15 Uhr

Man winkt mir zu aus vorbeifahrenden Autos… ? alles halb so schlimm! Bis jetzt!

18:50 Uhr

Jetzt mal ehrlich! Wie viele Menschen können so ein mickriges Örtchen wie Bluff an einem Abend verlassen? Mehr Verkehr als gedacht, aber wahrscheinlich als tagsüber und unter der Woche. Während es dämmert, laufe ich vorbei an einem Wildgehege. So langsam wird es kälter!

19:00 Uhr

Es wird dunkel! In nicht so weiter Entfernung funkelt Bluff (oder ein anderer Ort?). Anyway, nicht mehr soooo weit!

19:30 Uhr

Zum Abendessen gibt’s vorgekochte Ramen-Nudeln. Und es sind nur noch 16 Kilometer. Ich bekomme einen Anruf von Daf, Maël, Faustine, Hannes und Andy, die bereits in Bluff angekommen sind und feiern. In erster Linie wollen sie sehen, was denn hier so lange dauert. ?

21:10 Uhr

Es wird einstellig…noch 9,999 Kilometer to go!

21:35 Uhr

Ich überrenne die 3.000km-Marke. Aktuell überwiegendes Gefühl: Schmerz! ?

21:45 Uhr

Ich erreiche die Abzweigung zum Foveaux Walkway…und das Ratespiel im Dunkeln geht weiter. Wie bereits am Morgen finde ich im Dunkeln die Wegmarkierung nicht und ein ausgetretener Pfad ist zunächst auch nicht zu erkennen. Nervt schon ein bisschen so kurz vor dem Ziel! Dazu laufe ich in einen feinen Stacheldraht auf Kniehöhe und absolviere einen Slalomlauf um Kuhscheiße. Jede Menge Spaß! ?

23:00 Uhr

Nachdem ich mich kurz verlaufen hatte, befinde ich mich jetzt auf einem schön hergerichteten Kiesweg, der mich schnurstracks zum Stirling Point führen soll. Dort steht der Wegweiser, der südlichste Punkt Neuseelands und das offizielle Ziel des Trails. Noch sind es drei Kilometer.

23:11 Uhr

Der Countdown läuft, noch zwei Kilometer. Ein ultrabreites Grinsen macht sich auf meinem Gesicht breit! ?

23:22 Uhr

Trail-Soundtrack im Ohr, gute Laune in den Beinen. Ich jogge voller Vorfreude dem Ziel entgegen, noch ein Kilometer!

23:30 Uhr

FINISHED! Ich werfe die Trekking-Stöcke zur Seite, berühre mit einer Hand leicht die Stange des Wegweisers, schließe die Augen, atme tief ein und aus. Ich bin voll da in diesem Augenblick, in mir brodelt ein Vulkan von Gefühlen…93% Freude, 7% Wehmut, 3000% Erschöpfung nach meinem längsten, intensivsten Tag auf dem Trail!

Ich schaue nach oben: 1.401 Kilometer auf dem Schild nach Cape Reinga, mehr als 3.000 Kilometer in den Beinen! Ich war allein in diesem Moment und ich fühlte intuitiv, dass es für mich die richtige Art und Weise war, diesen Trail zu beenden. Ich verbringe noch eine halbe Stunde mit Musik, Stille, Bier und ein paar Tränen. Alles ist gut! Auch wenn ich jetzt noch zwei weitere Kilometer bis ins Hostel muss… ?

00:30 Uhr

Nach 82 Kilometern komme ich etwas humpelnd bei der Bluff Lodge an. Und keiner ist mehr wach von meinen Jungs und Mädels. Aber dafür empfangen mich James, Sam, Taylor, Romain, Dustin, Marion, Martin, Marko and Freedom mit Bier und etwas ungläubigen Gesichtern.

02:30 Uhr

Ich falle tot ins Bett! Was für ein Tag, was für ein Abenteuer, mir geht’s gut! ?

So what’s next: 

Ich laufe nochmal bei Tageslicht zum Stirling Point und mache mein Finisher-Foto bei Sonnenschein. Und dann erzählen wir einem Zeitungsreporter von Barry the Brick und anderen lustigen Trail-Erfahrungen. Die nächsten Tage chille ich mit den anderen in Invercargill und genieße nochmal die Gesellschaft meiner Freunde, bevor ich nach Auckland fliege und von dort weiter nach Sydney. Nicht mehr lange und ich lande wieder in der Heimat, worauf ich mich schon sehr freue! Und bis dahin mache ich das beste aus meiner verbleibenden Zeit in Neuseeland und Australien.

18 Gedanken zu „25. Trail-Abschnitt: Von Colac Bay nach Bluff – Mein bester längster letzter Tag

  1. Da bleibt nur zu sagen:

    Gratulation!

    Alles andere hast Du ja in deinem tollen Blog schon gesagt. Danke hierfür.
    Tolle Bilder, tolle Geschichten und viel Lust es dir gleich zu tun (wenn auch deutlich langsamer… 😉 ).
    Nochmals danke und nochmals Gratulation

    1. Dank dir! Aber soooo schnell war ich doch gar nicht. Mit 35 Ruhetagen (von 143 Tagen insgesamt) halte ich schon einen kleinen TA-Rekord. 😉 wenn du auch (umfangreicher) bloggen willst, plan auf jeden Fall ein paar Extra-Zero-Days mit ein. 😉

  2. Hallo Stef
    Herzliche Glückwünsche !!!
    Du bist ja echt ein WILDER ?
    Was für ein großartiges Finale und tolle Story.Mit nackten Füßen
    auf die Titelseite der Southland zu kommen.Genial !! Thru-Hiker eben ??. Schön,dass ihr euer Finale gemeinsam feiern könnt,
    freu mich sehr mit euch allen (❤️Hannes).
    Vielen Dank für die spannende und schöne Blog-Zeit.
    Allerliebste Grüße nach Aotearoa ??

    1. Hey Annette! Danke für die Glückwünsche! Und freut mich natürlich, dass ich dir durch meine Erzählungen auch die Erlebnisse von deinem Sohnemann etwas näherbringen konnte. Das Finale war super! Und gerade am Ende nochmal meine besten Trail-Freunde wiederzusehen, hat mir viel bedeutet! Auch wenn das hier jetzt vorbei ist…Hannes, Andy und ich machen dann einfach demnächst in den Alpen weiter! 😉

      1. Auf jeden Fall! Ich fliege erstmal noch ein paar Tage zum Relaxen nach Sydney und lande dann in einer Woche wieder in Deutschland. Bis dahin hab ich auch wieder Lust auf Bier, die letzten Tage waren etwas heftig! 😉 Danke für deine Unterstützung während des Trails!

  3. Großartig Dude, kannst zurecht Stolz auf dich sein!
    Bin gespannt wenn du alles aus erster Hand berichtest, obwohl der stetige tiefe Austausch via Mail natürlich schon einige Erkenntnisse vermittelt hat. Ha 😉

    Bis bald

    1. Dude, sobald ich wieder am Stacht bin in der Heimat, läuft unsere Heinrich-Schwaiger- und Wiesbachhorn-Planung an! Freue mich jetzt schon drauf! Persönlich ist immer besser…diese ewig langen E-Mails sind echt ein pain in the ass! 😉

  4. Glückwunsch zum grandiosen finish!
    Den Blog zu verfolgen war mir eine Freude! Schade das es vorbei ist 😉
    Schon Pläne für den nächsten long distance trail? Wie wär’s mit dem Trans Canada? Läppische 18-24k 😉

    1. Haha! Du wirst lachen, aber das war zwischendurch Thema auf dem Trail. 😉 so hardcore bin ich dann doch nicht! Und der nächste wird etwas kürzer…vielleicht in Nepal, Panama oder Israel. Irgendwas Exotisches, das dem TA nicht ähnelt (die US-Trails sind damit raus, da laufen mir auch zu viele Amis rum)! 😉 Danke fürs Verfolgen!

  5. Ich bin begeistert, neidisch, voller Respekt und Ehrfurcht! Geile Sache und herzliche Glückwünsche. Ist eine wahnsinns Leistung und ich hoffe ich komme auch eines Tages auf eine so verrückte Idee wie du und mache so einen Quatsch;) Vielen Dank für die super Trail Stories, hab ich gerne verfolgt. Viele Grüße!

    1. Hi Matze! Besser spät als nie danke für deine Nachricht! Hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, sowohl das Wandern als auch das darüber Schreiben. Jetzt muss ich mir ein neues Abenteuer suchen! 🙂

  6. Nach einigen Tagen Hûttenwanderung ohne WiFi habe ich eben Deine letzten Posts gelesen. Gratulation nicht nur zur Leistung, sondern vor allem zu den Erfahrungen, Freunden, Erlebnissen. Es war faszinierend, Deinem Blog folgen zu dürfen, und Ein- und Ausblicke mit geniessen zu dürfen bzw. auch mal mitzuleiden. Danke! Da Du mich ja mit auf den Geschmack gebracht hast, es selbst zu versuchen, würde ich mich gern mal mit Dir treffen, solange das Erlebte noch frisch und die Momente lebendig sind. Lass mich wissen, ob das ok geht, wenn Du wieder in D bist, natürlich zerrt jetzt jeder an Ärmel, und Familie und Freunde haben Vorrang. Würd mich dennoch sehr freuen. Auf bald, und nochmal herzliche Congrats!

    1. Hey Rolf, danke für die Glückwünsche! Bin jetzt seit fast zwei Wochen wieder in Deutschland…und so langsam schmerzen meine Füße nicht mehr. 😉 Wir können uns gerne treffen! Schreib mir am besten deine Nummer an meine E-Mail-Adresse stef.kosian@gmail.com, dann machen wir was aus. Vg

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