Der Arctic Circle Trail in Grönland – Rentier im Zelt…

Der Arctic Circle Trail in Grönland – Rentier im Zelt…

Arctic Circle Trail Day 5: Vom Wild Camp @ Kilometer 101 bis Nerumaq Hut (27 km)

In der Nacht zog ich den absoluten Jackpot! Aufgrund eines heftigen Unwetters konnte ich kaum ein Auge zumachen. Außerdem hatte ich schon Pipi in den Augen, weil mein Knie höllisch weh tat…so habe ich es zumindest in meiner wehleidigen Erinnerung. ? In jedem Fall regnete es von Minute zu Minute stärker und der Wind nahm richtig Fahrt auf. Da ich mein Zelt vor Abflug nicht mehr richtig reparieren konnte und mit gebrochener Zeltstange unterwegs war, kam was kommen musste: Die nur laff gespannten Innen- und Außenzelte begannen sich aneinander zu reiben, sodass schnell Kondensation eintrat und es anfing ins Zeltinnere zu tropfen… der absolute Super-GAU! Das merkte ich natürlich erst nach kurzem Wegnicken, als mein Schlafsack am Fußende schon ziemlich feucht  war…

Insgesamt hatte ich einfach die Schnauze voll und die letzten zwei Tage ohne Sonne, dafür mit viel Nässe, Wind und Kälte zehrten an meinen Nerven. Dazu noch mein schmerzendes Knie! Das war so ganz anders, als ich mir von diesem Trail in der einsamen arktischen Wildnis erhofft hatte. Fast zum Heulen! Da hilft eigentlich nur eins (zumindest bei mir): Negative Visualisierung. Ich stellte mir also vor, was noch beschissener sein könnte in meiner aktuellen Situation. Mein Kopfkino strengte sich ziemlich an und ich erfand ein paar Horrorszenarien. Zum Beispiel: Ja, wenn mitten in der Nacht noch ein Rentier mit seinem Geweih mitten in mein Zelt gerannt wäre, einfach alles wäre zerstört und nass! Das wäre doch irgendwie weitaus schlimmer gewesen. Ich musste bei dem Gedanken endlich mal wieder lächeln… Kurz, so schlimm war meine wirkliche Situation also gar nicht. ?

YouTube Impressions:

Wie sieht es so aus an einem lauen verregneten Morgen in Grönland…  ?

Endlich reagierte ich auf die Situation und packte meine Sachen schnell soweit es ging im Trockenen zusammen und machte meinen Rucksack fertig. Fehlte nur noch das Zelt! Draußen war es richtig ungemütlich und ich löste zunächst das Innen- vom Außenzelt, bis ich nur noch die dünne Außenzeltplane zwischen mir und dem Regen hatte. So ließ es sich seltsamerweise aushalten und ich frühstückte nach dem morgendlichen Stress erst einmal in Ruhe.

Schließlich hörte es auch auf zu regnen und ich verstaute die restliche nasse Zeltplane. Mein Knie meldete sich sofort wieder, aber ich nahm es ab sofort Schritt für Schritt. Durch kalten Wind stapfte ich in nassen Socken und Schuhen hoch und runter bis zum Ende des Sees. Ich machte eine kurze Zwangspause, weil einer meiner Socken gerissen war und an der Stelle durch die Reibung mit meinem Schuh bereits eine schöne Wunde sichtbar wurde.

Trail Impressions
Repräsentativer Quadratmeter des Arctic Circle Trails: 95% Matsch
Materialverschleiß

Pflaster drauf, neue Socke an und weiter Richtung Innajuatoq Hut. Die größere der beiden Hütten erreichte ich rechtzeitig zur Mittagspause. Ich setzte mich in die verlassene Hütte und war richtig bedient; zu diesem Zeitpunkt hatte ich zweieinhalb Tage keine Sonne gesehen, sondern nur in Wind und Regen verbracht.

Innajuatoq Hut
Innajuatoq Hut

Ich schaute etwas desillusioniert von diesem Trail auf den langen See hinaus. Und wie auf Wunsch öffnete sich der Himmel und ein erstes zartes blau erschien in weiter Entfernung. Es regnete noch bei mir, aber die Windrichtung passte…es sah tatsächlich nach Beendigung der Wetter-Pechsträhne aus! Ich schrie meine Erleichterung und Freude aus und tanzte in der Hütte auf und ab.  Während ich auf trockenes Wetter wartete, gönnte ich mir ein ausgiebiges Mittagessen und ließ mein Zelt trocknen. Besser hätte der Aufenthalt in der Hütte nicht laufen können. Pünktlich mit Erreichen der ersten Sonnenstrahlen war ich wieder so gut wie trocken und marschbereit.

No wind nor rain, no cry…

Und jetzt holte mich schließlich das verschmähte Moskito-Netz ein. Die fiesen kleinen Dinger waren durch das Sonnenlicht angestachelt. Sie tummelten sich zu Tausenden auf meinem Weg um den See herum. Ich verdeckte mein Gesicht so gut es ging mit Kappe, Kapuze, Sonnenbrille und meinen Hoodie als Mundschutz. Nur noch meine Nase schaute hervor. Die kleinen Mistviecher fanden trotzdem einen Weg hinter meine Sonnenbrille und unter meine Kappe. Ich realisierte allerdings auch schnell, dass die Moskitos nicht oder nur selten zustachen. Sie waren einfach in dieser schieren Masse unendlich lästig! Stehenbleiben war überhaupt keine Option; dann legten sich gleich mindestens zwanzig lästige kleine Mücken auf einmal auf meinen Körper.

Unweit von der Hütte entfernt entdeckte ich von Weitem zwei Wanderer, die anscheinend Pause machten. Es waren Jakub und Ilona aus Polen, die immerhin durch ihre Moskitonetze vor der herumschwirrenden Biomasse geschützt waren, aber aufgrund einer Schienbeinverletzung von Jakub nicht weiterkamen. Sie hatten bereits ihren Rettungs-Button auf ihrem SPOT betätigt und warteten nun auf Hilfe aus Sisimiut. Ich konnte leider nichts weiter tun als weitere Schmerzmittel anbieten.

Nur zwanzig Minuten später – ich war schon beim Aufstieg aus dem Tal – sah ich den Helikopter der Rettungsmannschaft bei den beiden landen. Die ganze Aktion dauerte vielleicht zehn Minuten und sie waren schon wieder im Tiefflug auf dem Weg nach Sisimiut. Gut zu wissen, dass dieses GPS-Notfallsignal so gut funktionierte. Drauf ankommen lassen wollte ich es allerdings trotzdem nicht…auch wenn mich so ein Helikopterflug reizte. ?

Trail Impressions
Trail Impressions

Nach erfolgtem Anstieg folgte nun ein längerer gemächlicher Abstieg bis zu meinem Tagesziel, der Nerumaq Hut. Obwohl das auf diesem Abschnitt eigentlich kaum möglich sein sollte, verlief ich mich etwas. Anstatt in der Mitte des Tals zu laufen, merkte ich zu spät, dass ich am Rand immer höher gestiegen war. Da auch mein Knie wie immer nachmittags stärker schmerzte, machte ich das für die fehlende Konzentration verantwortlich.  Es war aber nicht besonders schlimm, ich musste nur einen kleinen Berg hinunter und mir einen Weg durch hüfthohes Gebüsch bahnen.

Trail Impressions

Wieder auf der richtigen Fährte angelangt entdeckte ich schnell die in weiter Entfernung stehende, im üblichen rot angestrichene Nerumaq Hut. Diese teilte ich mir in der Nacht mit drei französisch sprechenden Schweizern, die den Trail zusammen als Familie liefen. Das war aber auch schon das einzig Coole an diesen Personen! Anstatt in der 6-Personen-Hütte für mich ausreichend Platz zu machen, breiteten sich die drei überall mit ihren nassen Klamotten und Schuhen aus. Die Socken hingen z.B. direkt über dem kleinen Tisch für die Essenszubereitung…bon appetit! 

Nerumaq Hut
Nerumaq Hut

PS: Ach ja, entschuldigt den etwas irreführenden Titel des Artikels…it was all in my head! ?

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