16. Trail-Abschnitt: Von St. Arnaud nach Boyle Village über den Waiau Pass – Zu schön um wahrhaftig zu sein!
Te Araroa Trail Total (TTT): 2.057 km
Highlight:
Go the extra mile! Oder in diesem Fall die extra Höhenmeter abseits des Trails, um die beste Aussicht der Wanderung zu erleben.Beileid:
Knieschmerzen! Sandflies! Ich weiß gerade nicht, was mich mehr nervt.Trekking-Akku: 7/10
?/☹: 8/10
Trail Day 71: Von St. Arnaud bis zur Upper Travers Hut (30 km)
Beinahe hätte ich den heutigen Tag als absoluten Fehlgriff abschreiben müssen. Solche Tage habe ich auch auf dem Trail: ich komme nicht so richtig rein in den Rythmus, meine Gedanken fliegen total wild durcheinander, ich bin körperlich total neben der Spur. Ich hatte die letzten beiden Nächte in der Alpine Lodge auch nicht besonders gut geschlafen, von daher war mein Zustand auch keine große Überraschung. Naja, an solchen Tagen bin ich außerdem weitaus sensibler für körperliche Schmerzen (heute waren mal beide Knie und mein oberer Rücken an der Reihe) und ich bin ziemlich nah dran, aus der Haut zu fahren.
Eigentlich hilft da nur eins: Ruhe und Ausruhen! Und so hatte ich mir vorgenommen, regelmäßig Pause einzulegen…was leider von Hunderten kleiner Blutsauger (auch Sandflies genannt) zunichte gemacht wurde. Ich musste nur zwei Minuten stoppen und ich hatte zehn von den fiesen Dingern an meinen Beinen kleben. Da war also an Pause nicht zu denken und mein bemitleidenswerter Zustand blieb der gleiche.
Ich war erst um 10 Uhr von St. Arnaud aufgebrochen. Die heutige Etappe war mit 30 Kilometer zwar relativ lang, aber nur die letzten fünf davon sollten anstrengend werden. So lief ich noch mit Coffee to go in der Hand am Rande des Lake Rotoiti die ersten flachen zehn Kilometer zur Lakehead Hut…um einen komplett nackten Typen beim Waschen am Wassertank vorzufinden. Ich rief ein lautes „Nakeeeeed!“, was den armen Mann total erschreckte. ? Sofort entschuldigte er sich, aber ich fand es eigentlich nur lustig. Ich machte nur kurz Pause, füllte mein Wasser am Tank auf (inzwischen ohne nackten Mann) und wanderte weiter zur John Tait Hut.
Unterwegs hatte ich bereits erste schöne Aussichten auf den Gebirgszug, den ich ab morgen dann richtig besteigen würde. Heute war nur das Aufwärmprogramm. ? Aber so richtig konnte ich die schöne Natur heute nicht genießen; ich wollte den Tag einfach nur hinter mich bringen. Ich hielt wieder kurz im Wald an für eine Pause, aber auch hier attackierten mich die kleinen Biester.
Und so machte ich erst um halb fünf im Schutz der John Tait Hut meine erste richtige Pause des Tages. Und siehe da, hier kamen meine Lebensgeister so langsam wieder zurück. Ich aß zwei Tuna Wraps und erholte mich ausgiebig, bevor ich die letzten anstrengenden fünf Kilometer in Angriff nahm.
Ich war jetzt wie ausgewechselt und kam sehr schnell voran. Ich folgte dem Travers River entlang des Tals, immer weiter bergauf. Die John Tait Hut lag noch auf 800 Meter; als ich nach zwei Stunden mein Ziel – die Upper Travers Hut – erreichte, war ich bereits auf 1.330 Meter angestiegen. Das hatte ich mir ehrlich gesagt leichter vorgestellt heute, aber ich hatte ja körperlich und mental noch rechtzeitig die Kurve bekommen. ?
Unterwegs machte ich noch einen kurzen Abstecher zum Travers Fall, ein sehenswerter Wasserfall. Und in der Hütte erwartete mich bereits James, der am Morgen früher aufgebrochen war. Neben uns war noch eine große Gruppe älterer Wanderer in der sehr geräumigen Hütte; James und ich waren die einzigen TA Hiker.
Wir besprachen noch kurz einen groben Plan für morgen. So richtig festlegen würden wir uns erst im Laufe des morgigen Tages, dazu war die Etappe zu anspruchsvoll und unser Fortschritt schwierig zu planen. Ich war sehr froh, dass der Tag noch eine gute Wendung genommen hatte. Und ich hoffe jetzt, dass ich den verlorenen Schlaf der letzten Tage gleich nachholen kann. Dann steht auch einer Besteigung des Travers Saddle (1.787 Meter) und des Waiau Pass (1.870 Meter) nichts mehr im Wege! ?
Trail Day 72: Von der Upper Travers Hut bis Upper Waiau Forks (23 km)
Was für wahnsinnig großartiger Tag! Mir wurde ja schon von einigen von dieser Etappe vorgeschwärmt, aber meine bereits hohen Erwartungen wurden noch einmal übertroffen! Auch wenn es am Ende echt noch einmal schmerzhaft wurde…
Zusammen mit Thomas, einem netten Franzosen aus Lyon, brachen James und ich zusammen von der Upper Travers Hut auf und es wurde sofort steil. Bis zum Travers Saddle waren 450 Höhenmeter zu überwinden und das ganze auch noch zum Frühstück! ? Ich fühlte mich total fit nach einer erholsamen letzten Nacht und hängte die beiden schnell ab. Je höher ich kam, desto großartiger war der Ausblick auf die alpine Landschaft und ich legte ein paar Fotopausen ein.
Thomas passierte mich und oben beim Travers Saddle zwischen zwei Berggipfeln angekommen, legte er seinen Rucksack ab und stieg nochmal höher auf einen Gipfel. Super Idee, dachte ich mir, und machte mich mit Kamera und Stativ an die Verfolgung. Das Panorama war einfach überragend und eines der absoluten Highlights meiner Wanderung! Ich verbrachte einige Zeit auf dem Gipfel und genoss die Ruhe in 1.800 Metern Höhe (inzwischen war Thomas schon wieder heruntergeklettert). Irgendwann sah ich weiter unten James vorbeilaufen, der aber gar nicht erst innehielt und sofort den steilen Abstieg in Angriff nahm. Ich konnte nicht fassen, dass er sich diesen Ausblick entgehen ließ…und nahm mir vor, ihn bei nächster Gelegenheit mit meinen Fotos neidisch zu machen. ?
Ich riss mich auch irgendwann los und begann den Abstieg zur West Sabine Hut. Innerhalb nur weniger Kilometer lief ich knapp 1.100 Höhenmeter bergab und meine Knie sagten das erste Mal Hallo an diesem Tag. Dabei durchlief ich mehrere Avalanche Risk Zones, aber wo kein Schnee, da auch keine Lawine. ? Die Zeit verging wie im Fluge und ich benötigte für die angesetzten 6 – 8 Stunden von Hütte zu Hütte nur dreieinhalb. Das gab mir schonmal ein gutes Gefühl für die Überquerung des Waiau Pass, denn dort war für eine ähnliche Entfernung die gleiche Zeit vorgesehen.
James, Thomas und ich machten gemeinsam Mittagspause in der West Sabine Hut. Auf nur noch 600 Höhenmeter war die Landschaft jetzt komplett verwandelt; schon die letzten Meter führten durch dichten Wald und das sollte bis zur nächsten Hütte – der Blue Lake Hut – auch so bleiben. Die anderen beiden brachen ein bisschen eher wieder auf; ich nutzte die menschenleere Hütte für einen kurzen Mittagsschlaf und träumte nochmal von der Aussicht vom Travers Saddle. Ich hatte die Fotos James natürlich direkt unter die Nase gehalten und er ärgerte sich maßlos! ?
Bis zur Blue Lake Hut folgte ich dem Sabine River immer weiter bergauf. Auf den sieben Kilometern kletterte ich bereits wieder 500 Höhenmeter nach oben. Das konnte mir auf dem Weg zum Waiau Pass nur helfen, wenn ich jetzt schonmal ein paar Höhenmeter abhaken könnte. ? Ich erreichte die Hütte um 15 Uhr. Wenn ich hier kurz Pause machen würde, hätte ich wahrscheinlich noch ausreichend Zeit, über den Pass zu klettern und die inoffizielle Campsite Upper Waiau Forks nur drei Kilometer hinter dem Pass zu erreichen. Soviel zur Theorie!
James hatte inzwischen schlechte Nachrichten: er hatte Schmerzen im Fuß und Schienbein und konnte für heute nicht mehr weiter. Erst recht nicht bei der Aussicht auf den härtesten Teil der Etappe und einer der schwierigsten Abschnitte des gesamten Te Araroa. Smart choice! Aber tat mir natürlich leid für ihn…und auch für mich. Ich hatte Respekt vor diesem Teil der Wanderung, da wäre ein furchtloser Engländer als Begleitung gar nicht schlecht gewesen. ? Thomas lief von hier einen anderen Weg weiter, aber er wollte mich noch ein bis zwei Kilometer bis zum Lake Constance begleiten.
Während meiner Pause in der Blue Lake Hut fragte mich ein französisches Pärchen nach meinen Plänen. Ich erzählte ihnen also, ich würde gleich noch über den Pass steigen…nach einer halbstündigen Ruhepause. Der kleine Wicht meinte sofort, ich solle hierbleiben, über den Pass würde ich es nicht mehr rechtzeitig vor Dunkelheit schaffen. Ganz schön frech, mir sagen zu wollen, was ich kann und was nicht (selbst wenn er mich kennen würde)! Ich überlegte kurz, ob ich etwas erwidern sollte, aber irgendwie war es auch keine Erwiderung wert. Ich schloss für eine Weile meine Augen, sammelte nochmals letzte Kräfte, sagte schließlich Thomas Bescheid und gemeinsam wanderten wir wieder los.
Bevor wir jedoch den Aufstieg zum Lake Constance angingen, machten wir natürlich einen Abstecher zum Blue Lake. Der See ist wohl das Gewässer mit dem vermeintlich klarsten Wasser in der Welt. In Tauchervokabular ausgedrückt: man hat hier das gesamte Jahr über eine Visibilität von 70-80 Metern…und das ist kein Schreibfehler! ?
Thomas ist auch Taucher und auf dem Weg zum Lake Constance fachsimpelten wir etwas miteinander. Das Gespräch driftete dann ab zu künstlicher Intelligenz, selbstfahrenden Autos, Trolley Scenario…was in dieser alpinen Landschaft fernab jedweder Technologie einen absoluten Kontrast bot! ? Wir erreichten viel zu schnell den ebenso tiefblauen Lake Constance und verabschiedeten uns voneinander. Schade, dass Thomas nicht den TA läuft! Nicht nur wegen der semiphilosophischprofessionellen Gespräche, sondern er war ein humorvoller Typ. Aber so machte er sich auf den Rückweg zur Blue Lake Hut und ich kletterte die rechte Flanke des Sees hinauf. Ich folgte der Längsseite des Sees und erhaschte schon erste Blicke auf den Waiau Pass. Oh Mann, das war richtig richtig richtig steil!
Zum Ende des Sees führte mein Weg wieder steil hinab bis zum Ufer. Von dort folgte ich einer ebenen Schneise, umringt von steil aufragenden Gipfeln. Es war wie eine Sackgasse; je weiter ich lief, desto enger wurde die Schneise und desto näher kamen mir rechts, links und geradeaus die Berge. Ich war hier knapp 600 Höhenmeter unter dem Pass, der jetzt steil über mir emporragte. Der Trail bog schließlich ab nach links, direkt hinein in den senkrecht ansteigenden Abhang. Was für ein Vergnügen! ?
Es wurde so hart wie vermutet! Meine Beine waren bereits müde und ich benötigte zahlreiche kurze Pausen. Der Aufstieg führte auch über loses Geröll, sodass ich nach einem Schritt oft wieder zwei zurückrutschte. Ziemlich deprimierend! Ich konzentrierte mich auf die beste Route und setzte jeden Schritt mit Bedacht. Zwischendurch warf ich immer wieder staunende Blicke zurück auf die wunderschöne Berglandschaft um den Lake Constance. Einfach wahnsinnig schön! Um Punkt 19 Uhr erreichte ich den Waiau Pass in 1.870 Meter Höhe; ich stand auf dem höchsten Punkt des Trails auf der Südinsel! Ein wahnsinniges Gefühl und ein wahrhaft tolles Panorama!
Ich genoss für einige Minuten den Ausblick, stärkte mich mit ein paar Nüssen und begann dann den wiederum (und wer hätte es auch anders erwartet?!) extrem steilen Abstieg. Ich nahm mir die nötige Zeit, denn jetzt meldeten sich meine Knie zurück. Gemessen an Kilometern war es nicht mehr weit zur informellen Campsite im bewaldeten Tal. Allerdings konnte ich den Abstieg nur langsam laufen und klettern, Erschöpfung setzte ein. Hatte der Wicht doch Recht gehabt und ich hätte in der Hütte bleiben sollen? Auf keinen Fall! ?
Ich mobilisierte nochmal meine letzten Kräfte und sah bereits ein kleines Licht in zwei Kilometern Entfernung: es war ein Feuer, das aus einer Baumgruppe heraus leuchtete. Das war also mein Ziel! Ich passte nur einen kurzen Augenblick nicht auf und rutschte einen Felsen hinunter, direkt mit meinem Schienbein in den nächsten hinein. Es tat weh und blutete, aber dafür war jetzt einfach keine Zeit. Es dämmerte bereits stark und in einer halben Stunde wäre so gut wie gar kein Licht mehr da.
Ich stieg tiefer und tiefer, überquerte einen letzten kleinen Stream und bog dann auf direktem Weg zum Feuer ein, das ich nur fünf Minuten später erreichte. Geschafft! Was für ein Tag mit über 3.000 Höhenmetern! Und ich bewies perfektes Timing, denn jetzt wurde es wirklich dunkel! Am Feuer wurde ich herzlich von zwei Kiwis und gleich drei Deutschen empfangen. Julia zeigte mir sogleich, wo ich mein Zelt aufstellen konnte. Und nach getaner Arbeit gesellte ich mich noch zur Gruppe am Feuer. Die beiden Kiwis waren inzwischen schlafen gegangen und so unterhielten wir uns auf Deutsch (auch mal angenehm! ?) über unsere Erlebnisse auf dem Trail.
Alle drei laufen ebenfalls den Te Araroa, zumindest einen Teil davon: Katja läuft ihn ganz, aber legt ebenso Abschnitte mit Auto oder Bus zurück; Julia wandert die gesamte Südinsel; und Niklas verbringt auf dem Trail wahrscheinlich nur einige Abschnitte auf der Südinsel. Besonders alt wurde ich an dem Abend nicht, obwohl ich die gute Gesellschaft und das wärmende Feuer sehr genoss. Aber ich war einfach zu müde und schleppte mich in mein Zelt. Auf den Muskelkater freute ich mich jetzt schon! ?
Trail Day 73: Von Upper Waiau Forks bis zur Anne Hut (34 km)
Der Tag danach! Nach diesen wunderschönen Aussichten, nach dieser körperlichen Herausforderung. Ähnlich wie nach den Tararuas fiel es mir heute schwer, mich zu motivieren.
Nach dem anstrengenden gestrigen Tag brach ich erst nach 10 Uhr wieder auf. Vorher quatschte ich mich noch mit Julia fest und redete mit ihr über Gott und die Welt…und würde das wahrscheinlich jetzt noch tun, wenn sich nicht mein Trail-Gewissen gemeldet hätte! ? Die beiden Mädels wollten es heute entspannt angehen, während Niklas es ebenso wie ich zur Anne Hut schaffen wollte. Ich sagte den Mädels auf Wiedersehen und wanderte relativ lustlos los.
Meine Beine waren nicht so schwer wie erwartet. Andererseits waren heute auch keine krassen Auf- oder Abstiege zu erwarten; der Großteil der 34 Kilometer zur Anne Hut war eben und damit eine willkommene Abwechslung. Einzige Herausforderung: finde den Trail (schonmal wieder)! Da die Trail-Marker teils sehr weit entfernt voneinander standen, war es eher Glückssache, dem kleinen ausgetretenen Pfad zu folgen.
Der Himmel war heute absolut wolkenlos und es war sehr heiß. Einzige Abkühlung boten hin und wieder ein frischer Wind und die zahlreichen Flussüberquerungen zunächst über den Waiau River, später über den Henry River. Ich folgte dem Trail so gut es ging entlang der Flüsse durch das Tal, hinter mir thronte der Waiau Pass und rechts und links neben mir flankierten mich die Berge. Auch heute war landschaftlich einfach eine Wucht! Nicht so überragend wie gestern, aber einfach total anders und nicht minder schön.
Aufgrund der Hitze und der gestrigen Anstrengung kam ich jedoch nicht so recht in den Tag. Ich kletterte anfangs über Felsen entlang des Flusses, stattete der kleinen Caroline Creek Bivvy – eine niedliche Zwei-Personen-Hütte- einen kurzen Besuch ab und passierte kurze Zeit später wie beiläufig die 2.000km-Marke. Ausgelassene Stimmung kam allerdings nicht auf; es fühlte sich gar nicht so recht nach einem (weiteren) Jubiläum an.
Ich folgte weiterhin dem Waiau River und wünschte mir ein Kanu herbei…mit Segel, denn es wurde jetzt zeitweise richtig windig. Ich lief weiter meine Route und zählte die verbleibenden Kilometer bis zur Anne Hut. Schließlich konnte ich gut ausgefahrenen Allradspuren folgen, durchquerte kleine Streams und bog vom Waiau River Richtung Henry River ab.
Die letzten zehn Kilometer nahm ich die Natur noch einmal bewusst war. Auch wenn ich heute etwas neben der Spur war, konnte ich ein zufriedenes Grinsen gar nicht unterdrücken. Es war richtig schön in diesem Tal mit hohen Gräsern, dem Rauschen der Flüsse, der warmen Sonne und dem frischen Wind sowie der umliegenden grünen oder grauen Berge und Gipfel. Ich überquerte den Henry River auf einer langen Hängebrücke und schwankte hin und her. Danach war es nicht mehr weit bis zur großen und modernen Anne Hut, wo ich ausnahmsweise mal keinen bekannten TA-Wanderer traf. So unterhielt ich mich noch etwas mit ein paar Kiwis und verzog mich früh ins Bett.
Trail Day 74: Von Anne Hut bis Boyle Village (28,5 km)
Ein wunderschöner Sonnenaufgang folgt auf einen wunderschönen Sonnenuntergang: besser kann man ja gar nicht den alten Tag beenden und den neuen beginnen. ?
Um Viertel nach neun war ich wieder mit schweren Beinen unterwegs nach Boyle, wo ich meine Food Box in Empfang nehmen und hoffentlich auch nach Hause telefonieren könnte. Ein Kiwi warnte mich bereits aber vor, dass Boyle aus nichts weiter als zwei bis drei Häusern und eben dieses Outdoor Education Center bestehen würde. Da wäre Handyempfang schon Glückssache. Wir werden sehen! Notfalls müsste ich eben ins 50 Kilometer entfernte Hanmer Springs hitchen.
Neuseelands Wetter wollte sich heute mal wieder beweisen und mir sein Facettenreichtum zeigen: auf Sonne folgen Wolken folgt Regen; auf Wärme folgen angenehme Temperaturen folgt Hitze folgt Kälte; auf Windstille folgt ein laues Lüftchen folgt Sturm. Und das alles innerhalb weniger Tage oder sogar Stunden. Ich wechselte heute ständig zwischen T-Shirt, Hoody und Kopftuch hin und her, was auf die Dauer recht nervig war.
Auch die Flüsse gaben sich auf diesem Abschnitt die Klinke in die Hand: nach Sabine, Waiau und Henry folgte heute der Anne River, dem ich mehrere Kilometer lang folgte und hin und wieder überqueren musste. Und zuletzt kam noch der Boyle River hinzu.
Die ersten sieben Kilometer gingen leicht von der Hand, bis ich die einzige vermeintlich steile Stelle des heutigen Tages meistern musste: den Anne Saddle. Allerdings hielt sich die Herausforderung dann doch in Grenzen. Direkt nach dem Saddle führte der Trail wieder hinunter ins Tal zum Fluss. Ich joggte diesen Teil, um nicht ständig mit meinen Knien abzustoppen. Es funktionierte ganz gut und meine Knieschmerzen waren auch bei weitem nicht mehr so schlimm wie die Tage zuvor.
Ich wanderte weiter entlang des Flusses im nasskalten Wetter und passierte auf meinem Weg die anderen Wanderer, die bereits früher von der Anne Hut aufgebrochen waren. Um halb eins erreichte ich nach 16 Kilometern die Boyle Flat Hut, wo ich eine ausgedehnte Mittagspause einlegte. Nur noch 12 Kilometer bis Boyle Village; würde ich mein Tempo beibehalten, wäre ich spätestens um 18 Uhr am Ziel.
Der Trail wurde jetzt allerdings härter und stieg auf bis zu 100 Höhenmeter über dem Fluss an. Warum? Keine Ahnung! Wahrscheinlich weil es sonst zu einfach wäre. ? Bei der Hütte gab es kein Wasser (dafür krachmillionen Sandflies) und so langsam neigte sich mein Zwei-Liter-Vorrat dem Ende entgegen. Total bescheuert, da ich bisher zu weiten Teilen des Trails dem Fluss gefolgt war und zahlreiche Streams überqueren musste. Genug Wasser war also jederzeit da. Nur jetzt war ich auf einmal nicht mehr in Reichweite von Wasser und es ging mir aus.
Ich lief zwei Stunden weiter durch kühle Wälder, bevor ich einen klaren Gebirgsbach fand und dort meinen Vorrat wieder auffüllen konnte. Ich machte eine letzte Pause, während der ich mindestens 50 Sandflies tötete, und brach dann meine letzten sieben Kilometer des Tages an. Kurze Zeit später folgte ich bereits dem Boyle River, den ich über eine Hängebrücke überqueren konnte. Es ging noch einige Male über matschige und verwurzelte Pfade hoch und runter, bevor ich um halb sechs den Carpark und das Boyle Outdoor Education Center erreichte. Hier wollte ich meine Food Box in Empfang nehmen und mindestens eine Nacht bleiben. Eine Stunde Internet sollte mich hier übrigens 5 Dollar kosten! Eigentlich hätte ich hier gerne einen Ruhetag eingelegt, aber ohne Internet- und Handyempfang lohnt sich das ja kaum. ? Ich schlafe eine Nacht drüber und entscheide dann, wie faul oder hochmotiviert ich sein möchte…
So what’s next:
Ich verbringe eine oder zwei Nächte in Boyle (wo es außer diesem Education Center wirklich nichts gibt) und laufe dann natürlich weiter Richtung Bluff. ? Die nächste Etappe führt mich über 113 Kilometer von Boyle über den Harper Pass in das kleine Städtchen Arthur’s Pass. Endlich wieder Zivilisation (im Vergleich zu hier)! Kleine Besonderheit auf der nächsten Etappe: eine heiße Quelle, in der man baden kann und hoffentlich hilft das auch gegen akute Muskelverspannung. ?
7 Gedanken zu „16. Trail-Abschnitt: Von St. Arnaud nach Boyle Village über den Waiau Pass – Zu schön um wahrhaftig zu sein!“
By far best pictures so far!! Sehr geil, Stefan!
Sandflies: Sei froh, dass du keine allergischen Reaktionen darauf zeigst. Beim letzten Mal sahen meine Beine aus wie Streuselkuchen mit unzähligen centstückgroßen roten Streuseln (kein Witz). Ich bin vor Juckreiz fast verrückt geworden und hatte Herzrasen – ohne Scheiss. Meine Erfahrung: Das richtige Insektenabwehrzeugs mit „deet“-Wirkstoff, das wirkt wirklich.
Ja ich kann mich auch noch an deine Indien-Malarone-Stories erinnern…scheinst da echt kein Glück zu haben mit so fiesen Viechern (und dem Schutz davor)! Was die Sandflies angeht: hab mich schon halb dran gewöhnt! 😉 Die Dinger nerven, aber meist juckt es noch nicht einmal. Komisch, auf der Nordinsel haben die mich so gut wie KOMPLETT in Ruhe gelassen. Ich hatte sogar einige Nächte ein paar von denen im Zelt…und am nächsten Morgen hatte ich keinen einzigen Biss und die Sandflies saßen noch genau da, wo ich sie zurückgelassen hatte. 😉 Naja, hier im Süden sind die schon ein anderes Kaliber!
Was die Fotos angeht: Danke! Und da geht garantiert noch mehr in den nächsten Wochen! 😉
Grüße aus Arthur’s Pass!
Danke für die irren Fotos!!! Und für alle Mitleser: da ist nix mit Fotoshop getrixt – alles echt!!!
Hanmar Springs lohnt sich auch für ein paar Relaxstunden im Hotpool.
Danke für das irre Kompliment! 😉 Bei dieser Landschaft geht die Fotografie auch leicht von der Hand. 😉 Und in Hanmer Springs stoppe ich dann beim nächsten Mal…50km off Trail hat mich etwas abgeschreckt. LG
Den Hotpool hole ich jetzt in Lake Tekapo nach! Zwar nicht natürlich, aber hoffentlich nicht weniger entspannend und erholsam für die strapazierte Beinmuskulatur! 😉 lg
Deine Blogs und Photos sind einfach super! Ich fiebere schon immer auf den naechsten Abschnitt….
Danke! Geht mir genauso 😉